„Kuck mal, dat Schaf, dat hat wat!“
Auf einer unserer Klassenfahrten, zur Zeit als wir schon „große Mädchen“ – fast Teenager waren, saß ich neben meiner Freundin Karo im Reisebus. Kaum unterwegs, hatten wir schon die Hälfte vom Proviant vertilgt und sangen aus Leibeskräften die üblichen Lieder wie: „Sag mir, wo die Blumen sind….“
Kurz vor Wuppertal sprang Karo auf, zeigte aus dem Fenster und rief aufgeregt: „Kuck mal, dat Schaf! Dat hat wat!“ Ich schaute raus und sah im Vorbeifahren ein Schaf mutterseelenalleine auf der Koppel liegen, die Beine zum Himmel gestreckt. Eine sehr beunruhigende Haltung für ein Schaf, welche die Vermutung nahelegte, dass dieses arme Tier wohl tatsächlich „wat hatte“.
Aber unsere Reise Richtung Jugendherberge ging weiter und das unglückliche Schaf blieb seinem Schicksal überlassen. Doch Karos Ausruf wurde in unserer Klasse zum Geflügelten Wort und immer, wenn mal eine beleidigt oder zickig war, hieß es: „Kuck mal, dat Schaf, dat hat wat.“
Einmal im Jahr muss ich an die Küste, das Meer sehen.
Diesen Sommer war es die Nordsee. Nach dem Einchecken zog es mich direkt zum Strand. Ich wollte Wellen sehen und den Horizont und mir den Wind um die Nase wehen lassen. Wir fuhren lange herum, auf der Suche nach einem Parkplatz mit direktem Zugang zum Wasser. Kaum waren wir den Deichweg halb hoch gegangen, sah ich ein Schaf. Es lag hinter dem Maschendraht auf der Seite, sein kleines Lamm neben sich. Das Schaf sah irgendwie merkwürdig aus, zumal die Herde weit entfernt war. Meine Alarmglocken schrillten: „Dat hat wat!“ Ich hob kleine Steinchen auf und warf sie über den Zaun und rief dem Schaf alle möglichen Sachen zu. Das Lämmchen quäkte hilflos und stupste die Mutter an – aber die rührte sich nicht.
Jetzt bearbeitete ich meinen Mann: „Wir müssen was tun! Wir können nicht einfach weitergehen!“ In der Nähe befand sich ein Kiosk, das mein Mann ansteuerte, während ich weiterhin die Schafmutter und ihr Kind beobachtete. Als er zurückkam, versicherte er mir, der Mann im Kiosk würde den Besitzer sofort anrufen und der wäre dann auch gleich da. Halbwegs beruhigt setzte ich meinen Weg fort. Es herrschte ein scharfer Wind, der mir die Tränen in die Augen trieb. Ich schaute nach den Deichschafen, die überall frei herum liefen und mir fiel auf, dass etliche von ihnen das gleiche Problem hatten: Ihre Augen tränten und sie hielten sie geschlossen. Ich machte mir Gedanken über Deichschafe: „Was machen die eigentlich bei Sturm, oder bei glühender Hitze? Sie haben keine Unterstände, keine Schattenplätze.“ Manche von ihnen hinkten auch. Mir war irgendwie die Urlaubs-Stimmung vermiest.
Tierliebe kann einem schon mal das Leben schwer machen – vor allem in Urlaubsländern.
In Tirol waren es die Haflingerfohlen, von denen ich weiß, dass sie nur für die Sommersaison als süße Streichelobjekte für die Touris gezüchtet – und spätestens im Herbst verwurstet werden.
In der Camargue taten mir die Schimmel leid, die in glühender Hitze angebunden darauf warten mussten, Touristen durch die Gegend zu schleppen. Fast so leid, wie die Fiakerpferde in Wien, die in diesem extremen Sommer im Geschirr zusammenbrachen und auf der Straße starben. Oder die völlig entkräfteten Eselchen, die in südlichen Ländern unter dem Gewicht fettleibiger Touristen stürzen und ihr Leben aushauchen.
Auf einer eigentlich schönen Reise durch Kroatien schockten mich die teils toten, teils verletzten Hunde, die – von Autos angefahren – unbeachtet am Straßenrand lagen.
Nee Leute, bleibt mir weg! Das muss ich alles nicht haben. Da bleib ich doch lieber hier und geh in unserem schönen Freibad schwimmen. Allerdings bin ich auch dort nicht wirklich vor Tieren in Nöten sicher. Kaum im kühlen Nass, sah ich direkt vor meiner Nase eine Biene schwimmen. Aber Bienen schwimmen doch eigentlich nicht? Die hat wat!
Ich fischte sie heraus und schwamm einarmig zum Beckenrand, um sie dort abzusetzen. Gott sei Dank, sie lebte noch. Minuten später sichtete ich ein anderes, in Seenot geratenes Insekt. Diesmal keine Biene, sondern irgendein mir unbekanntes Flugobjekt. Keine Ahnung, aber deshalb kann ich es ja nicht einfach absaufen lassen. Ich fische das Flügeltier mit links, halte es hoch über meinem Kopf und rudere mit dem rechten Arm wieder zum Beckenrand.
Die Badeaufsicht wird aufmerksam: „Was is denn mit der los? Hat die wat?“
Nee, die hat nix. Die macht nur Urlaub und entspannt sich gerade. (-: